Die Reise des Ausschusses für Arbeit und Soziales nach Estland und Finnland Ende September bestätigte und revidierte Erwartungen.
Das Programm begann mit dem Besuch einer Finnischen Kita: „Die hochqualitative Kinderbetreuung in Finnland war beeindruckend. Der Personalschlüssel von 1:4 für unter Dreijährige und von 1:7 für über Dreijährige ist für Sachsen-Anhalt leider utopisch. Da werden unsere entsprechenden Änderungsanträge im Rahmen der Novellierung des Kinderförderungsgesetzes leider nichts ändern können. Auch die Kooperation der Kitas mit den Eltern scheint sehr gut organisiert zu sein. Hingegen ist es um das Ansinnen der Landesregierung Kitas zu Eltern-Kind Zentren weiter zu entwickeln sehr still geworden. Es ist zu sehen, dass Finnland die Bedeutung frühkindlicher Bildung erkannt hat und auch praktisch umsetzt. Hierzu Lande sind das leider oftmals nur Lippenbekenntnisse. Nicht umsonst ist Finnland Spitzenreiter beim PISA Test“, schildert Cornelia Lüddemann Ausschussmitglieder der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihre ersten Eindrücke.
Auch in puncto Gleichstellung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann Finnland als Vorbild dienen. Die gute Kinderbetreuung führt zu einer hohen Erwerbsbeteiligung von Frauen, die dazu oftmals Vollzeit arbeiten. „In Deutschland sind es überwiegend Frauen die Teilzeitarbeiten. Daher ist Altersarmut hier hauptsächlich weiblich. Ein Problem das in Finnland so nicht herrschen dürfte.“ so Lüddemann. U.a. wird eine kontinuierliche Gleichstellungspolitik durch den „Action Plan for Gender Equality“ betrieben, den jede Regierung für die neue Legislaturperiode auflegt. Der mittlerweile breite Rahmen dieses Programms fokussiert nicht mehr nur den Arbeitsmarkt und „Frauenthemen“. Auch z.B. die niedrigere Lebenserwartung von Männern ist als Gleichstellungsproblem ausgemacht. Und das Gesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern soll um die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Transsexuellen und Intersexuellen erweitert werden. „Auch hier sollte Deutschland seinem nördlichen Nachbarn folgen“, so Lüddemann. „Auch die finnische Arbeitskultur ist mir sympathisch. Insbesondere diese fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Überstunden sind nicht wie in Deutschland die Regel und wie der Deutsche Botschafter berichtete, halten sich selbst MinisterInnen die Wochenenden für ihre Familie frei.“
Altbekannt waren dem Ausschuss die großen Strukturprobleme Finnlands: die Alterung der Bevölkerung, eine niedrige Geburtenrate und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Mit diesen Herausforderungen ist – natürlich neben Sachsen-Anhalt – auch Estland konfrontiert. Das zweite Ziel der Ausschussreise. Dort wie auch hier im Land ist das Elterngeld ein Versuch die Geburtenrate zu erhöhen. Diese staatliche Lohnfortzahlung bei Geburt eines Kindes ist – unerwartet – in Estland am großzügigsten: 18 Monate bekommt die Mutter oder der Vater das volle Gehalt ausgezahlt. Um die Bedeutung der Familie und der Kinder gerade im politischen Bereich zu erhöhen, setzt sich überraschenderweise die konservative Partei Estlands für ein Familienwahlrecht ein. „Auch wenn ein Stellvertreterwahlrecht der Eltern für ihre Kinder keine Grüne Position ist, so ist es doch erfreulich, dass über die Beteiligung von Kindern überhaupt gesprochen wird. In Deutschland ist es ja gerade die CDU die sich regelmäßig gegen die Absenkung des Wahlalters ausspricht“, kommentiert Lüddemann. „Interessant war auch die Regelung der Extra-Urlaubstage pro Kind. 3 – 6 Tage Sonderurlaub mit einer staatlichen Mindestlohnfortzahlung bekommt jedes Elternteil pro Kind. Wenn man bedenkt, dass gerade Eltern jüngerer Kinder in der Regel am Wochenende oder in den Ferien nicht einfach so „abschalten“ können, ist das eine charmante Regelung.“
„Lernen können wir von Estland vor allem die Offenheit gegenüber IT-Lösungen,“ resümiert Lüddemann. Es gibt einen durch 1130 öffentliche W-LAN Netze beinah landesweiten Internetzugang, eine hohe Akzeptanz von Telearbeit und Homeoffice und bei den Parlamentswahlen 2009 stimmten 24% der WählerInnen bereits online ab. Ob die Anmeldung des Autos, die Einsicht in die eigene Krankenakte, die Beantragung von Sozialleistungen oder die Hausaufgaben der eigenen Kinder alle behördlichen Leistungen sind über ein zentrales Portal erreichbar. „Beim Thema eGovernment ist die Landesregierung Sachsen-Anhalts leider eher Bedenkenträger als Visionär. Das Projekt e-Estland zeigte wie es anders geht. Gerade aus Sicht des Datenschutzes müsste man sich sicherlich einiges noch einmal genauer betrachten, aber inspirierend war die Darstellung dieser IT Nutzung allemal.“
„Durch die guten transnationalen Beziehungen in der EU und dem freundschaftlichen Verhältnis zu unseren nahen und fernen europäischen Nachbarn, liegen uns reichhaltige Erfahrungen vor, wie auf teils gleiche Probleme politisch reagiert wird. Gerade der Besuch zweier Länder mit unterschiedlicher politischer Vergangenheit und kultureller Prägung zeigte die inspirierende Vielfalt der EU“ bilanziert Lüddemann am Ende der Reise.
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